Strategiestudie Neusiedler See

Phase 1

STRATEGIESTUDIE NEUSIEDLER SEE - PHASE 1 (2014)
Im Auftrag der Österreichisch/Ungarischen Gewässerkommission

Die Region Neusiedler See umfasst eine der größten und bedeutendsten Naturlandschaften in Mitteleuropa und ist – nicht zuletzt aufgrund ihrer günstigen geographischen Lage im Einzugsgebiet großer Städte (Wien, Bratislava, Győr, Szombathely) – unbestritten auch wirtschaftlich von Bedeutung.
Seit mehr als 90 Jahren teilt die Staatsgrenze zwischen Österreich und Ungarn den See samt der dazugehörigen Region in zwei Teile. Die im Jahre 1922 errichtete Staatsgrenze bildete nach dem Zweiten Weltkrieg als Teil des Eisernen Vorhangs, der die beiden politischen Systeme voneinander trennte, mehr als 40 Jahre lang eine streng bewachte, praktisch unüberwindliche Linie. Während dieser Zeit waren jegliche Beziehungen zwischen den beiden Seiten der Grenze unterbrochen, und die benachbarten Regionen durchliefen fast ein halbes Jahrhundert hindurch zwei verschiedene Entwicklungsprozesse.
Seit mehr als 20 Jahren ist die Grenze wieder offen, und es findet seitdem eine langsame Angleichung der ökonomischen Entwicklung statt. Ein Meilenstein der jüngeren Entwicklung war 1995, als Österreich Mitglied der Europäischen Union wurde, 2004 folgte Ungarn. Im November 2007 trat das Schengener Abkommen auch in Ungarn in Kraft, wodurch die österreichisch-ungarische Staatsgrenze zur frei passierbaren Binnengrenze innerhalb der Gemeinschaft wurde. Im Mai 2011 schließlich folgte die Öffnung des Arbeitsmarktes, d.h. Österreich schaffte die bis dahin den ungarischen Staatsbürgern auferlegten Beschäftigungsbeschränkungen ab.
Auch wenn die Region in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmend zusammenwuchs, so ist sie dennoch bis heute geprägt durch die lange währende Teilung. Die beschränkte wirtschaftliche Entwicklung aufgrund der gegebenen politischen Rahmenbedingungen hatte aber nicht zuletzt auch Einfluss auf die Entwicklung der Natur, die hier zu einem Refugium für Pflanzen und Tiere wurde. Die politische Grenze trug dazu bei, dass der Neusiedler See seine Sonderstellung als Naturraum über Jahrzehnte hinweg bewahren konnte. Eine Situation, die auch von anderen historischen Grenzregionen wie den March-Thaya-Auen oder der Lafnitz im Südburgenland bekannt ist. Die herausragende Bedeutung des Neusiedler-See-Gebietes für zahlreiche seltene Pflanzen- und Tierarten wurde durch nationale Schutzbestimmungen auf beiden Seiten gewürdigt. Im Jahr 1977 wurde der gesamte österreichische Teil des Sees sowie das Westufer als Biosphärenpark deklariert,
1979 folge der ungarische Teil. 1977 wurde zudem ein Naturschutzgebiet auf ungarischer Seite eingerichtet, 1980 das „Natur- und Landschaftsschutzgebiet Neusiedler See und Umgebung“ auf österreichischer Seite. Im Jahr 1993 schließlich folgte die Gründung des grenzüberschreitenden Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel; bereits seit 1991 hatte auf ungarischer Seite der Fertő-Hanság Nemzeti Park bestanden. Ebenfalls grenzüberschreitend sind das Ramsar-Gebiet (seit 2009 als „Neusiedlersee – Seewinkel – Waasen / Neusiedlersee – Fertő – Hanság“) und das UNESCO-Welterbe (seit 2001 „Kulturlandschaft Fertő/Neusiedler See“).
Eine vor allem in rechtlicher Hinsicht wichtige Wende brachten die EU-Beitritte von Österreich und Ungarn mit sich. Für beide Staaten gilt nun der gleiche rechtliche Rahmen in den Bereichen Naturschutz und Wasserwirtschaft. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG), die Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) und die EU-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) sind die Grundlage für die gemeinsamen Anstrengungen zum Schutz und zum Erhalt des einzigartigen Naturraumes. Sie bilden jedoch nur einen groben Rahmen; im Detail betrachtet gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Gesetze, aber auch unterschiedliche Interessen und Ansprüche von „Stakeholdern“, welche die Umsetzungder nationalen und internationalen Bestimmungen nicht immer leicht machen.Das Nebeneinander von hochwertigem Naturraum und vielfältigen Nutzungen als Kulturraum machen den Reiz der Landschaft aus, bergen jedoch auch gewisse Gefahren und machen eine behutsame Abstimmung verschiedener Interessen unerlässlich. Nur so kann die Natur- und Kulturlandschaft als solche langfristig erhalten bleiben.
Im Bewusstsein dieses Handlungsbedarfs ersuchte die Österreichisch-Ungarische Gewässerkommission im Jahr 2009 ein Expertenteam aus den beiden Ländern mit Vorarbeiten zur Entwicklung eines Strategiepapiers für den Neusiedler See. Der vorliegende Bericht stellt das Ergebnis dieser Arbeit dar: eine umfassende Bestandsaufnahme in den Fachbereichen Wasserwirtschaft, Limnologie, Naturschutz und Raumplanung. Sie ist als Phase I der strategischen Entwicklung der Region Neusiedler See zu sehen. In einer daran anschließenden Phase II sollen konkrete Maßnahmen für die zukünftige Entwicklung der Landschaft Fertő-Neusiedler See ausgearbeitet und umgesetzt werden.
Am Beginn der vorliegenden Arbeit stand ein erster Entwurf zu einem Maßnahmenkatalog, der im Frühjahr 2007 von der Unterkommission der Österreichisch-Ungarischen Gewässerkommission erarbeitet wurde. Der Katalog erfuhr in den Folgejahren mehrere Überarbeitungen und bildete letztlich die Basis für das vorliegende Projekt. Im Jahr 2011 wurden die Projektgliederung und die Themenschwerpunkte in der hier vorgestellten Form von den stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten der Österreichisch-Ungarischen Gewässerkommission angenommen.

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